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Warum gibt es vor Gericht keine Gerechtigkeit?

Gemeinsame Pressemitteilung
des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed, Defund the Police Dortmund und
Justice Collective Berlin zum Prozesstag am 22.05.2024 am Dortmunder Landgericht

Am 22. Mai 2024 findet am Dortmunder Landgericht der dreizehnte Prozesstag für die fünf
Polizeibeamtinnen statt, die im Fall der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé angeklagt sind. Zu diesem Anlass veröffentlichen die Initiativen Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, Defund the Police Dortmund und Justice Collective aus Berlin gemeinsames Infomaterial. Mit einem Flyer und einem Plakat veranschaulichen die Initiativen den systemischen Rassismus, in den der Fall eingebettet ist und weshalb sie vor Gericht keine Gerechtigkeit erwarten. Das Material zeigt, weshalb das Narrativ der vermeintlichen Rechtmäßigkeit von Polizei und Justiz fehlerhaft ist.

Anthony Obst vom Berliner Justice Collective erklärt diesbezüglich: „Gerichte sind keine neutralen Orte. Die Idee, dass dort so etwas wie »neutrale« Rechtssprechung auf Basis demokratisch ausgehandelter Regelwerke stattfindet, ist ein liberaler Mythos. Dieser hat wenig mit der Realität zu tun. Welche Menschen überhaupt im Gericht landen und wie dort mit ihnen umgegangen wird, steht eng mit sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Verbindung.“

Auch wenn im Fall der Tötung des 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé nun fünf Polizistinnen auf der Anklagebank sitzen, haben sie gute Chancen, glimpflich
davonzukommen. Denn, so Obst weiter: „Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge werden
Polizistinnen nur äußerst selten für Gewaltanwendung zur Verantwortung gezogen.“

Im Gegensatz dazu – so zeigt es das Infomaterial – werden zum Beispiel Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft öfter und härter von Gerichten verurteilt, als deutsche Staatsbürgerinnen in vergleichbaren Fällen. Die strukturellen Ungerechtigkeiten des
Strafsystems zeigen sich etwa auch im übermäßigen Polizieren und Bestrafen bestimmter
Bevölkerungsgruppen, die im derzeitigen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem
verhältnismäßig wenig Macht haben. Zu diesen zählen unter anderem Wohnungslose, von
Rassismus, Sexismus, und/oder Ableismus betroffene Personen sowie Menschen in
psychosozialen Krisen. Menschen wie Mouhamed, die von mehreren dieser
Diskriminierungen betroffen sind, werden dadurch von diesem System besonders vulnerabel
gemacht. In seinem Fall hatte dies tödliche Folgen.

Während bestimmte Personengruppen also strukturell im Strafsystem entmächtigt und von
diesem bedroht oder sogar getötet werden, kommt der Polizei innerhalb der Gesellschaft undJustiz eine außerordentliche Macht zu. Dies betrifft auch beispielsweise ihre vermeintliche
Glaubwürdigkeit vor Gericht. Anthony Obst ergänzt dazu: „Polizeiaussagen werden von
gesellschaftlichen Akteur*innen sowie vor Gericht selten infrage gestellt. Dagegen
anzukommen ist für von Polizeigewalt Betroffene und deren Angehörige eine enorme
Herausforderung.“

Für die Angehörigen ist der Prozess eine enorme Belastung

Im Gerichtsprozess um die Tötung von Mouhamed Lamine Dramé wird diese
Herausforderung deutlich. Aus Sicht der Angehörigen findet bei dem Prozess eine Täter-
Opfer-Umkehr statt, bei der Mouhamed zu einer angeblichen Bedrohung für die Polizei
gemacht wird. Die beiden Brüder Sidy und Lassana Dramé fühlen sich vom Gericht weder
respektiert noch wertgeschätzt.

„Für die Angehörigen ist der Prozess eine Retraumatisierung, denn auf ihre Bedürfnisse wird
keine Rücksicht genommen,“
sagt Bo, Sprecher*in des Solidaritätskreises
Justice4Mouhamed.


Ohne Einsicht oder Reue erklären die Beschuldigten, der Einsatz, bei dem sie Mouhamed
töteten, sei aus ihrer Sicht gut gelaufen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Brüder
öfters unter Tränen den Gerichtssaal verlassen. Sie würden gerne ein Statement abgeben, doch dies wird ihnen vom Gericht bisher verwehrt. Alex vom Solidaritätskreis ergänzt: „Dass die Hinterbliebenen keines Blickes gewürdigt und in ihrem Anliegen und Schmerz nicht gesehen werden, ist nur schwer auszuhalten.“


Für die Initiativen hinter dem Infomaterial steht fest:
Bei Polizeigewalt und ungleicher Behandlung im Gerichtssaal handelt es sich nicht etwa um
eine Aneinanderreihung von Einzelfällen. Nicht nur in der Dortmunder Nordstadt gehört
rassistisches Polizieren zum Alltag. Deutschlandweit setzt sich in Gerichtssälen der
systematische Rassismus des Strafsystems fort.

Defund the Police Dortmund betont daher, dass es sich bei dem Fall „um ein strukturelles
Problem der vermeintlichen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden handelt, welches
nicht durch Reformen gelöst werden kann.“


Die abschließende Forderung der Initiative lautet daher: „die Abschaffung der Polizei sowie neue Debatten zu emanzipatorischen und selbstorganisierten Formen von Sicherheit.“

Wir fordern: Gerechtigkeit für Mouhamed und seine Familie, sowie für alle Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt!


Der Infoflyer der Initiativen wird bei den Mahnwachen am Dortmunder Landgericht an den
Prozessterminen verteilt und an verschiedenen Orten ausliegen. Der Flyer sowie weiteres
Material stehen zudem auf unseren Webseiten zum Download zur Verfügung.

Kontakt
solidaritaetskreismouhamed@riseup.net
https://justice4mouhamed.org
https://defund-the-police.org/
https://www.justice-collective.org/

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