von NoCamDo.org
Seit Sommer 2021 wird die Münsterstraße in der Nordstadt zwischen den Hausnummern 50 und 99 mit 18 Videokameras durch die Polizei überwacht. Die Bilder werden nachmittags und abends live ins Polizeipräsidium gestreamt und sind, zusammen mit dem mobilen Überwachungscontainer, der aktuell im Dietrich-Keuning-Park steht, Beispiel für die Normalisierung polizeilicher Überwachung. Ähnlich wie bei der Einführung der Taser (siehe Beitrag zu Tasern) ist die Nordstadt Experimentierfeld für neue Formen der Repression und Polizeitaktiken. Ziel der Maßnahme sind weniger Änderung im täglichen Erleben von Gewalt, sondern vielmehr ein diffuses, aber adressierbares „Sicherheitsgefühl“ und die Pressearbeit.
Bereits die Ankündigung der Polizei, Kameras sowohl im „Problemviertel“ Nordstadt als auch in den Naziecken in Dorstfeld aufzuhängen zeigte, dass die „Copaganda“ im Vordergrund stand – also Propaganda im Sinne der Cops. Nicht zufällig war nämlich auch der Nordpol, Linke Bar und Veranstaltungsort, noch im videoüberwachten Bereich.
Von dort aus fand in den Monaten nach der Ankündigung eine Vernetzung mit Initiativen und Anwohner*innen der Münsterstraße statt; neben dem Nordpol befinden sich in der Münsterstraße weitere Vereine wie Train of Hope, die Geflüchtetenberatung anbieten oder ein von DIDF betriebenes Begegnungszentrum.
Die Initiative entschied sich dafür auf juristischem Weg gegen die Kameraüberwachung vorzugehen. Es sprachen klare Argumente gegen die Überwachung: Sie soll möglich sein, wo „die Beschaffenheit eines Ortes“ Kriminalität begünstigt (hier nochmal bezugnehmend auf die gefährlichen Orte). Ein Beispiel sind Parkhäuser, sie ermöglichen einen einfachen Zugang zu vielen Autos. Der in der Münsterstraße präsente Drogenhandel hat nichts mit der Bebauung der Straße zu tun. Reine Verdrängungseffekte sind eigentlich keine Rechtfertigung. Auch ist die Überwachung einer längeren Straße – im Vergleich zu dem üblichen Überwachen von Plätzen, juristisches Neuland gewesen.
Am Ende kann ein Gericht aber nur in seinem engen Rahmen der Abwägung liberaler, individualistischer Bürgerrechte gegen politisch gewünschtes Polizeigesetz argumentieren, und auch weil die Polizei Dortmund an einigen Stellen nachbesserte und z. B. Bereiche von der Überwachung ausnahm, war die Abwägungsfrage schnell geklärt. Für die Aktiven bestätigte sich, dass die Frage, was die Polizei darf und soll, politischer Natur und die Abschaffung polizeilicher Repression nur durch die Entmachtung der Polizei selbst zu machen ist.
Die Kameraüberwachung in der Nordstadt bleibt daher bestehen und ihre Entwicklung zeigt symbolisch was falsch läuft: Die Kameras haben keinen Effekt. Die Kriminalität ist insgesamt (auch in der Nordstadt) rückläufig, da machen die vielen Stunden von Beamt*innen vor Bildschirmen keine Unterschied. Tatsächlich hat sich der Drogenhandel sichtbar, und wie erwartet, einfach nur verlagert und der Polizei fällt natürlich nichts Besseres ein, als noch mehr Kameras zu installieren. Der postapokalyptische Überwachungscontainer steht nun im Dietrich-Keuning-Park, die Betäubungsmittelverkäufer*innen ziehen eine Ecke weiter. Und obwohl Kameras nur temporäre Maßnahmen sein sollen, in der Innenstadt etwa nur während des Weihnachtsmarktes aufgehängt und danach wieder abgehängt werden, ist die Überwachung der delinquenten Nordstadt ein langfristiges Projekt. Denn wenn angenommen werden kann, „dass bei Abbau der Kameras die Straftaten wieder steigen“ bleiben die Kameras hängen.1 Die Versuche der Initiative die Widersprüche in der Logik der Polizei sichtbar zu machen, etwa indem die Evaluationsberichte angefordert werden2 scheitern am Erfolg der Copaganda. Während die Erfolgsmeldungen in der Polizeipresse mit selektiven, positiven Statistiken weithin Sichtbarkeit erfahren, wird die Realität in der Debatte ausgeblendet, genauso wie tatsächlichen Zahlen in den Berichten zu 95 % geschwärzt sind.
Innerhalb der zynischen Logik des Polizeiverwaltungsapparats könnte man sich noch wünschen, dass wenigstens Folgendes ein Beleg dafür ist, wie überflüssig die Wache Nord ist: Im Schnitt benötigen die Polizist*innen von dort 15 Minuten um nach einem Alarm aus dem Kontrollraum, den „Kriminalitätshotspot“ in 500 m Entfernung zu erreichen. Nicht mal das.
- Pressemitteilung der Polizei vom 18.07.2024 „Videobeobachtung in der Nordstadt“. https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4971/5825476, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎
- Anfrage der Evaluationsberichte über FragDenStaat.de vom 22.07.2024. https://fragdenstaat.de/anfrage/evaluationen-videobeobachtung-muensterstrasse-und-dietrich-keuning-park/, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎