Die Wache Nord in Dortmund ist bundesweit bekannt. Diese traurige Berühmtheit ist sowohl auf das bestehende „interne Problem mit Gewalt“1, wie Polizeiwissenschaftler*innen und Kriminolog*innen berichten, zurückzuführen, als auch zunehmende Kompetenzzuwächse bei gleichzeitiger Militarisierung sowie die Art und die Formen des Polizierens in der Nordstadt.
Unter dem Begriff des Polizierens wird die alltägliche Polizeiarbeit, also der Streifendienst, Polizeikontrollen, Festnahmen und Vernehmungen zusammengefasst.
In der Nordstadt ist das Polizieren von Rassismus, Misogynie, herabwürdigem Verhalten sowie Einstellungen gegenüber Wohnungslosen und psychisch erkrankten Personen und vor allem maskuliner CopCulture geprägt. Wenngleich eine historische Kontinuität dieser Diskriminierungsmuster vorhanden ist2, sprechen die Politik und die Polizei weiterhin von „Einzelfällen“ und „Einzelpersonen“, die durch gewalttätiges Verhalten auffallen.
Die Beamt*innen der Wache Nord, die besonders gewalttätig vorgehen sind nicht nur uns namentlich bekannt, sondern auch den Bewohner*innen sowie den Menschen des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen und der Justiz, die in der Nordstadt tätig sind.
Dabei sind es nicht mehr nur die Formen des Polizierens über die gesprochen werden muss. Es ist vor allem die Wirkung auf das alltägliche Leben und die Menschen in der Nordstadt, die dieses Polizieren hat.
Seit 2016 setzt die Polizei Dortmund auf das sogenannte ‚Präsenzkonzept zur Bekämpfung der Kriminalität in der Dortmunder Nordstadt‘. Dieses Konzept umfasst neben der massiven offenen und verdeckten Präsenz von Polizeibeamt*innen, diverse städtebauliche Maßnahmen, wie die Umzäunung des Keuning-Haus-Parks, das Aufstellen von Kameras an öffentlichen Plätzen, wie der Münsterstraße und dem Mehmet-Kubasik-Platz sowie Razzien gegen sogenannte „Clanstrukturen“ in Wettbüros und Imbissen. Unzählige Geschichten über die „Clankriminalität“ und ominöse Shisha Bars werden zur Selbstlegitimierung willkürlichen Agierens gegen migrantisierte Menschen von der Polizei in den Umlauf gebracht und von ihrem Ursprung, der strukturell bedingten Armut entkoppelt. Durch Pressemitteilungen der Cops als auch Medienberichte werden die Maßnahmen gegen die Einwohner*innen als ethnisiert wahrgenommen. Es sind die Migrant*innen in der Nordstadt, die gefährlich sind, gewalttätig werden und daher stärker kontrolliert werden müssen.
Die durch die Polizei als „gefährliche Orte“ deklarierten Straßen ermöglichen den Polizeibeamt*innen verdachtsunabhängige Kontrollen und Identitätsfeststellungen nach § 12 PolG NRW Abs. 1 Nr. 2. Fast die gesamte Dortmunder Nordstadt wurde schon 2017 als gefährlicher Ort eingestuft, wie eine kleine Anfrage im NRW-Landtag gezeigt hat.3 Am 05. Juni 2023 startete die Polizei Dortmund mit der aktuell laufenden „strategischen Fahndung“ rund um den Borsigplatz. Anlass seien die Beschwerden von Anwohner*innen und Geschäftsleuten gewesen.4 Anhalte- und Sichtkontrollen im Rahmen von strategischen Fahndungen5 können ohne konkreten Anlass bei allen Menschen im Viertel durchgeführt werden. Wer sich im Alltag durch die Nordstadt bewegt, weiß schon längst, betroffen von den Kontrollen sind vor allem PoC und migrantisch gelesene Menschen.
Mit dem genannten Schwerpunkteinsatz verfolgt die Wache Nord „weniger Straftaten, mehr Sicherheit und Ordnung und auch mehr Respekt für die Polizei“6. Vor allem der letzte Punkt scheint maßgeblich, wenn es um männlich geprägte CopCulture geht.
Dieser Schwerpunkteinsatz schließt unmittelbar an die Berichterstattung der Springer-Presse zur Wache Nord an. Die Beamt*innen stellen sich im besagten Artikel als Opfer dar, die den hohen Anforderungen der Anwohner*innen und des Polizeipräsidiums nicht gerecht werden können. Diese Opfer-Stilisierung und zeitgleich die pauschalisierte, rassistische Abwertung der Nordstadt als sozialer Brennpunkt, in dem Kriminalität aufgrund der Zuwanderung herrsche, verurteilen wir aufs Schärfste.
Die Nordstadt und das Quartier des Borsigplatzes, ein Sozialraum, der seit vielen Jahrzehnten durch eine starke Migration, Armut, eine hohe Bevölkerungsdichte und niedriges Bildungsniveau sowie fehlende Kita- und Grundschulplätze geprägt ist, wird durch die strategische Fahndung mal wieder zum kriminalitätsbelasteten Ort deklariert: Die Polizei wird dort präsent, Menschen werden ohne Anlass kontrolliert, Strafanzeigen werden gestellt. Mittlerweile laufen die strategischen Fahndungen, Razzien, Kameraüberwachung in der Nordstadt sowie Teilen der Innenstadt unter dem Label „Präsenzkonzeption Fokus“.7
Da diese Maßnahmen seit Sommer 2023 in regelmäßigen Abständen verlängert werden – was nicht mal mehr der Lokalpresse noch eine Meldung wert ist – und die Wache Nord sogar mit weiteren Bereitschaftspolizist*innen ausgestattet worden ist8 müssen die Bewohner*innen der Nordstadt mit einer verstärkten Polizeipräsenz sowie der Angst vor willkürlichen Kontrollen leben. All dies, um den Respekt vor der Polizei zu stärken und ein abstraktes Sicherheitsgefühl zu stärken.
Bewohner*innen und Inhaber*innen von Geschäften des täglichen Bedarfs rund um den Borsigplatz berichteten uns gegenüber in Gesprächen und gezielten Interviews von vielzähligen und willkürlichen Personen- und Fahrzeugkontrollen sowie diskriminierendem Verhalten und fluiden Formen von Polizeigewalt. Insbesondere junge Erwachsene, die migrantisch gelesen werden, berichten, dass sie auffällig häufig von der Polizei kontrolliert werden. Dies geschehe vollkommen willkürlich beim Warten an der Bushaltestelle oder auf dem Weg zum Sportverein, zur Schule oder zum Dietrich-Keuning-Haus. Sporttaschen, Rucksäcke und Schultornister werden durchsucht, kleinere Geldscheine werden den Jugendlichen direkt abgenommen. Das Kontrollieren einer Gruppe von jüngeren Männern erzielt eine quantitativ höhere Anzahl an Personenkontrollen, was der Berichterstattung und der Dokumentation der Polizei zugutekommt – dies haben die Jugendlichen verstanden.
Es vergeht kein Tag an dem die Polizei nicht Jugendliche im Dietrich-Keuning-Haus-Park, in der Münsterstraße, am Nordmarkt oder im Stollenpark ohne Anlass kontrolliert. Anwohner*innen, die dies beobachten, wird suggeriert, dass es sich um einen gefährlichen Ort und/oder straffällig gewordene Jugendliche handeln muss.
Diese Art von Polizeiarbeit kann als „repressives staatliches Handeln, das nicht neutral, sondern von maskuliner, rassistischer CopCulture geprägt ist“9 eingeordnet und bewertet werden. Vielen Menschen, die in der Nordstadt leben ist klar, dass z. B. ‚Platzverweise‘ keine Wirksamkeit im Sinne einer Verhinderung von Straftaten haben und die Kriminalität nur in Seitenstraßen verdrängt wird. Vielmehr sprechen sich die Bewohner*innen für langfristige Lösungen der sozialen Probleme der Menschen, die kriminell werden und/oder Gewalt ausüben, aus.
Diese repressiven Maßnahmen in einem ganzen Stadtteil sind unerträglich. Das Sicherheitsgefühl steigt bei keine*r Bewohner*in. Die Menschen in der Nordstadt haben verstanden, dass sie bei Problemen besser nicht die Polizei rufen. Dies ist kein Respekt vor der Polizei, sondern Angst.
Die Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung der Polizei Dortmund mit migrantischen Organisationen im Dietrich-Keuning-Haus Anfang Juni kann nur als scheinheiliges Verhalten und Augenwischerei bezeichnet werden. Für die Mehrheitsgesellschaft sowie Medien und Politik gibt sich die Wache Nord progressiv und wünscht einen „Dialog und Vertrauensförderung“ mit den Menschen der Nordstadt. Wie WDR-Berichte zeigen, hat sich das rassistische Verhalten und die gewaltvollen Einstellungen der Cops seit der Erschießung Mouhameds nicht verändert.10 Die Wache Nord: Toxisch maskuline und rassistische CopCulture bis hin zu tödlicher Konsequenz.
- Laberenz, Lennart (16.01.2023). Ruf nie die Polizei. In: Zeit Online https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-01/polizeigewalt-mouhamed-drame-dortmund-opfer/komplettansicht, zuletzt abgerufen am 17.09.2024 ↩︎
- vgl. Beitrag „Imaginationen flächendeckender Ordentlichkeit“ ↩︎
- Anfrage im Landtag NRW, Drucksache 17/1363 vom 29.11.2017 ↩︎
- Frag den Staat (2023). Antwort der Polizei Dortmund vom 25. Oktober 2023 zu einem Auskunftsersuchen vom 13.09.2023 ↩︎
- § 12a PolG NRW regelt die „strategische Fahndung“, und die gibt es erst seit Ende 2018. Manche fassen sie als Sonderfall von § 12 PolG NRW Abs. 1 Nr. 2 auf. Übrigens spricht man üblicherweise bei der „Strategischen Fahndung“ von „Kontrollgebieten“ oder „Gefahrengebieten“ und nicht von „gefährlichen Orten“. ↩︎
- Pressemitteilung der Polizei Dortmund vom 04. August 2023, https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4971/5573759, zuletzt aufgerufen am 16.09.2024 ↩︎
- Pressemitteilung der Polizei Dortmund vom 30. Juli 2024, https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4971/5833500, zuletzt aufgerufen am 16.09.2024 ↩︎
- Pressemitteilung der Polizei Dortmund vom 10. Juli 2024, https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4971/5554725, zuletzt aufgerufen am 16.09.2024 ↩︎
- Davis, A. .; Dent, G.; Meiners, E. R.; Richie, B. T. (2023) Abolitionismus. Feminismus. Jetzt. Eine intersektionale Intervention. Unrast Verlag, S. 7 ↩︎
- WDR (2024). Nach Mouhamed Dramé: Welche Lehren die Polizei Dortmund gezogen hat. Vom 16.07.2024, https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/polizei-lehren-fall-drame-100.html, zuletzt abgerufen am 16.09.2024 ↩︎