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Staatsgewaltgegenüber armen & wohnungslosen Menschen hat System und Geschichte

In Dortmund gibt es mehrere tausend Menschen, die auf der Straße leben. In den letzten Jahren ist die staatliche Gewalt gegenüber diesen Menschen drastisch angestiegen. Gruppen, wie Face2Face und Schlafen statt Strafen kämpfen gegen die Verdrängung von wohnungslosen Menschen und setzen sich zusammen mit den Menschen laut gegen die staatliche Gewalt ein. Schlafen statt Strafen besetzten Anfang 2023 gemeinsam mit obdachlosen Menschen einen zentralen Platz in der Innenstadt und bauten ein Protestcamp für neun Tage auf. Gefordert wurde bedarfsgerechte Hilfen und Unterstützungsangebote für wohnungslose Menschen. Eine Verbesserung der Situation ist nicht eingetreten, sprich es wurden keine Wohnungen oder Schlafplätze zur Verfügung gestellt, es mangelt weiterhin an entsprechenden Angeboten der gesellschaftlichen Partizipation und die Menschen werden weiterhin aus dem öffentlichen Raum verdrängt.

„Polizei und Ordnungsamt dienen dem Staat zur Verdrängung“

– Sozialarbeiter*in in der Wohnungslosenhilfe

Als sich die Innenstadt zwischen den Lock-Downs der Corona-Pandemie wieder mit Menschen füllte – also der normale Konsumwahnsinn weiterging – konnte beobachtet werden, wie das kommunale Ordnungsamt und die Polizei verstärkt gegen wohnungslose Menschen vorgingen. Viele berichteten von ständiger Repression, wie dem Entsorgen und Vernichten von persönlichen Gegenständen, sowie der stetigen Vertreibung und natürlich Bußgeldern. Viele dieser Bußgelder nach dem Infektionsschutzgesetz erreichten Menschen ohne festen Wohnsitz bzw. aus Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe erst nach Monaten auf dem Postweg an. Es mutet zynisch an, dass andere Menschen im öffentlichen Raum, die nicht als wohnungslos vorverurteilt wurden, oftmals nur eine Verwarnung erhielten.

Im November 2023 bekamen erstmalig z. B. die Ordnungskräfte für das allerliebste neoliberale Winterfest der Christen in der Innenstadt Bodycams, um alkoholisierte und drogenabhängige Menschen, nicht nur zu verdrängen vom schönen Weihnachtsmarkt, sondern auch die Taten aufzuzeichnen.1

Taser-Einsatz

Während der Corona Pandemie wurde zum ersten Mal der Tasereinsatz ausschließlich in der Dortmunder Nordstadt erprobt. Die ersten Tasereinsätze trafen wohnungslose Menschen, die von Privatgeländen bzw. öffentlichem Plätzen verschwinden sollten. Ein Fall wurde damals aufgenommen: Im Video kann beobachtet werden, wie ein obdachloser Mensch aus einem Haus von der Polizei rausgeholt wird und der Taser zum Einsatz kommt, obwohl insgesamt mehr als sechs Polizeikräfte vor Ort waren. Dies ist leider kein Einzelfall. In den letzten drei Jahren sind mindestens zwei obdachlose Menschen durch Polizeieinsätze verstorben. Am 3. April 2024 wurde ein wohnungsloser Mensch von der Polizei mitten in der Innenstadt erschossen.

Die Gewalt hat System

Die Einsätze des Ordnungsamtes sind kommunal geregelt. Das bedeutet, erst wenn eine Stadt eine formelle Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an öffentlichen Straßen und Anlagen erlässt, können Polizei und Ordnungsamt eingreifen. Betrachten wir diese Gewalt von Polizei und Ordnungsamt, die von der Kommune beauftragt sind – die wiederum die gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt – muss festgestellt werden, dass diese Gewalt nicht nur System hat, sondern als subversiv zu betrachten ist.

Die staatliche Gewalt gegenüber obdachlosen und armen Menschen ist kein neues Phänomen. Schon im 17. Jahrhundert wurde die Reichspolizei dafür eingesetzt, die Massenarmut durch Ordnung und Zwangsarbeit zu unterbinden.2 Arme bzw. obdachlose Menschen sollten durch erzieherischen Maßnahmen wieder arbeitsfähig gemacht werden. Zwar wurde dies später durch gesellschaftliche Transformationen hinterfragt, unverändert blieb jedoch das Bild der armen und wohnungslosen Menschen, die bis heute als faul diskriminiert und als störend gewertet werden.3

„Somit war und ist Polizei schon immer ein Mittel gewesen, um nicht nur das Eigentum zu schützen, sondern auch die unangepassten Menschen durch Maßnahmen zu erziehen und zu verdrängen.“

– Sozialarbeiter*in in der Wohnungslosenhilfe

Repression gegen drogenabhängige Menschen

Im Jahr 2023 gab es diverse Beschwerden von Anwohner*innen und Restaurantbesitzer*innen gegenüber Menschen, die den Drogenkonsumraum nutzen. Aufgrund der Vergrößerung des Konsumraums, sei auch die Anzahl der Klient*innen gestiegen, so die lokale Berichterstattung.4

Dazu Polizeipräsident Lange:

„Rund um den Drogenkonsumraum wurden in diesem Jahr bisher 23 Strafanzeigen mit Bezug zum Betäubungsmittelgesetz gefertigt. Für mich steht außer Frage: Ein leistungsfähiger Drogenkonsumraum ist elementar wichtig für die Suchthilfe in Dortmund, weil er Probleme von der Straße holt. Um die Probleme auf der Straße kümmern wir uns.“5

In den Augen der Polizei ist der Drogenkonsum im öffentlichen Raum ein Anliegen, um welches die Polizei sich zu kümmern habe. Und dies betreibt sich mit großem Eifer! Allein im Sommer 2023 liefen fast 100 Schwerpunkteinsätze in der Innenstadt, welche vor allem gegen Dealer und illegalen Drogenkonsum gerichtet waren.6

Aktuell vergeht kaum ein Tag, an welchem die Pressestelle der Polizei Dortmund nicht über den Drogenkonsum in diesem Teil von Dortmund schreibt. Neben einer guten Statistik für die Polizei ist es laut Lange vorrangiges Ziel, „wenn man die Betroffenen in das Hilfesystem verdrängen könne.“7 Damit ist klar, dass wohnungslose Menschen sowie Menschen, die betteln oder drogenabhängig sind, nicht nur verdrängt werden sollen, sondern durch die ständigen Kontrollen in das aktuelle Hilfesystem gezwungen werden. Dieses Hilfesystem ist allerdings keines, wenn dies eine weitere Maßnahmen zur Erziehung darstellt.

Ähnlich gelagerte Beispiele nennen wohnungslose Menschen, die Klaus Jünschke für sein Buch „Gefangen & Wohnungslos – Gespräche mit Obdachlosen in Haft“ interviewt hat. Die Menschen beschreiben nicht nur die Polizeigewalt und die daraus zusätzlichen Strafen, sondern berichten von der täglichen und fluiden Schikane und Diskriminierung durch Kontrollen von Cops und Ordnungsamt – sowie die direkte körperliche Gewalt.

Genau diese Bilder sehen und hören wir verstärkt in der Dortmunder Innenstadt sowie der Nordstadt. Wohnungslose Menschen berichten Vereinen, Initiativen und Gruppen, z. B. bodo e. V., Schlafen statt Strafen und Face2Face immer wieder von Gewalt und Diskriminierung. Insbesondere zu besonderen Anlässen, wie dem Weihnachtsmarkt oder der Fußball-Europameisterschaft im Sommer sollte die Räume rund um den Hauptbahnhof und die Innenstadt frei von wohnungslosen, bettelnden und armen Menschen sein. Attraktivität und Konsum auf Kosten von Menschenleid.

„Da spielt es überhaupt keine Rolle, dass dies mehr Kosten für den Staat sind, anstatt die Gelder bei Polizeieinsätzen gegenüber Wohnungslosen zu sparen und einfach für alle ein 0 €-Ticket zur Verfügung zu stellen.“

– Sozialarbeiter*in in der Wohnungslosenhilfe

In Dortmund ist im Juni 2024 ein wohnungsloser Mann in Polizeigewahrsam verstorben. Obwohl dieser Anzeichen einer Lungenentzündung aufwies, wurde er nicht in ein Krankenhaus gebracht, sondern festgenommen. Staatsanwalt Giesenregen dazu: „Ihm hätte niemand mehr helfen können. Er war dem Tode geweiht.“8 Fakt ist, Staatsanwält*innen können nur medizinische Berichte wiedergeben, aber nicht beurteilen bzw. habe nicht das Wissen, diese Situation fachgerecht zu beurteilen. Es stellt sich die Fragen, ob dieser Mensch noch leben würde, wenn es eine medizinische Versorgung direkt vor Ort gegeben hätte. Wir wissen es nicht.

Polizei und Ordnungsamt müssen die finanzielle Mittel gestrichen werden. Wohnungsnot wird nicht mit Polizeigewalt und diversen erzieherischen Maßnahmen gelöst. Die Stadt Dortmund hat die Pflicht, soziale Projekte besser finanziell zu unterstützen, eine flächendeckende und umfassende medizinische Versorgung sicherzustellen und Leerstand sinnvoll z. B. für Wohnprojekte zu nutzen. Schließlich ist es bundesweites Ziel bis 2030 keine Wohnungsnot mehr zu haben, sprich Obdach- und Wohnungslosigkeit soll durch Wohnangebote bekämpft werden – wer das für wahr hält! Wir schließen uns den Forderungen von „Schlafen statt Strafen“ an und fordern die Stadt Dortmund zum Handeln auf!

  1. Ruhr Nachrichten (02.11.2023). Das Ordnungsamt rüstet auf Mit Bodycams über den Dortmunder Weihnachtsmarkt. https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/ordnungsamt-geht-mit-bodycams-auf-den-weihnachtsmarkt-dezernent-kuendigt-modellversuch-an-w802518-2000990241/, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎
  2.  Schoch, F. (2012). Behördliche Untersagung „unerwünschten Verhaltens“ im öffentlichen Raum. In JURA – Juristische Ausbildung, Nr. 11, S. 858-866 ↩︎
  3. Hippel, W. (2013). Armut, Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag ↩︎
  4.  WDR (06.09.2023). Crack-Konsum: Dortmunder Krisenstab soll Lösungen finden. https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/drogen-crack-krisenstab-dortmund-100.html, zuletzt abgerufen am 21.09.2024 ↩︎
  5. Ruhr Nachrichten (20.08.2023). Bekämpfung der Drogenszene in Dortmunds City Tun Ordnungsamt und Polizei genug? https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/drogenszene-in-dortmund-polizei-chef-strafanzeigen-loesen-suchtprobleme-nicht-w770592-2000903603/, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎
  6. Polizei Dortmund (03.11.2023) Fast 100 Schwerpunkteinsätze in der Innenstadt mit rund 850 Anzeigen. https://dortmund.polizei.nrw/presse/fast-100-schwerpunkteinsaetze-in-der-innenstadt-mit-rund-850-anzeigen, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎
  7. Ruhr Nachrichten (15.11.2023). Verstärkte Kontrollen in Dortmunds City. https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/dortmunder-weihnachtsmarkt-2023-polizei-will-deutliche-praesenz-zeigen-w807636-2001002657/, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎
  8. Ruhr Nachrichten (07.06.2024). Staatsanwalt nennt neue Details zu totem Mann in Polizeigewahrsam „Er war dem Tode geweiht“. https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/dortmund-mann-tod-polizei-gewahrsam-todesursache-obduktion-staatsanwalt-w890459-2001239531/, zuletzt abgerufen am 18.09.2024 ↩︎