Der Wache in der Dortmunder Nordstadt, deren Beamt*innen 2022 einen traumatisierten Jugendlichen erschossen hatten, wurde 2023 eine Umquartierung in ein neues Hochhaus in Aussicht gestellt. Bevor der moderne Neubau die Erinnerung trübt, wollen wir einen Blick zurück auf die Geschichte dieser Polizeiwache werfen, um dann aktuelle Praktiken zu beschreiben. Nach einem Bericht vom Prozess gegen die Cops gehen wir näher auf den Einsatz von Kameras und Tasern und den Umgang mit Wohnungslosen in Dortmund ein. Aus unterschiedlichen Perspektiven dokumentieren wir die Erfahrungen mit der Exekutivgewalt. Schließlich lassen wir uns von dem bevorstehenden Auszug der Nordstadt-Wache zu der Frage inspirieren, wie eine Welt ohne Polizei aussehen könnte – etwa mit einem Krisendienst – die den Bedürfnissen der Menschen eher entspricht. Eine abolitionistische Welt, in der Ansätze wie Transformative Gerechtigkeit dazu beigetragen haben, dass die neue Polizeiwache längst zu einem Lost Place geworden sein wird.
Vor etwa zehn Jahren protestierten Menschen Klobürsten schwenkend gegen die Praxis der Hamburger Polizei, sogenannte Gefahrengebiete einzurichten, um Menschen auf der Straße anzuhalten und ihre Rucksäcke zu durchsuchen, wobei sogar gefundene Klobürsten protokolliert wurden. 2015 stellte ein Gericht fest, dass es dieser Art von Kontrollen an einer Rechtsgrundlage fehle. In den folgenden Jahren wurde der Begriff der Gefahr wiederholt bemüht, um die Befugnisse der Polizei auszuweiten. Dadurch wird es zunehmend aufwändiger, ihren Missbrauch zu belegen, und für die Polizei noch einfacher, ihr Vorgehen ohne juristische Klimmzüge zu rechtfertigen.
Ab 2017 wurden viele Neuerungen in Polizeigesetzen eingeführt: Staatstrojaner auf internetfähigen Geräten, zusätzliche Videoüberwachung in den Städten, strategische Fahndungen, längerer Polizeigewahrsam, Aufenthaltsvorgaben und -überwachung und Taser. Um von diesen Eingriffsmöglichkeiten betroffen zu sein, muss jemand zumeist keine Straftat begangen haben und auch keine konkrete Gefahr dafür bestehen. In Dortmund ordnet die Polizeibehörde seitdem immer wieder für die sogenannten „gefährlichen Orte“ die strategische Fahndung an. Dort dürfen dann Menschen verdachtsunabhängig kontrolliert werden. Es ist hier noch schwieriger, Racial Profiling nachzuweisen, weil die Polizei keinen Verdachtsgrund benennen muss.
Das Versammlungsgesetz von 2022 erleichtert der Polizei, Daten von Teilnehmer*innen zu sammeln, sie in Bild und Ton zu überwachen, ihre Identität festzustellen und sie zu durchsuchen. Nicht nur bei antifaschistischem Gegenprotest und der Klimagerechtigkeitsbewegung wurden die polizeilichen Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten ausgeweitet; gerade marginalisierte Gruppen sind wie so oft in besonderem Maße polizeilicher Willkür ausgesetzt und nehmen so mitunter davon Abstand, eine wichtige Kundgebung zu organisieren oder daran teilzunehmen.
Die Beschäftigung mit dem Thema sensibilisierte aber auch für die unterschiedlichen, gemeinsam zu denkenden Formen der Betroffenheit von Repression: Viele Menschen, die sich aktiv politisch engagieren, und vor allem Minderheiten erleben bei Begegnungen mit der Polizei Versuche, sie zu verunsichern und zu vereinzeln. Bereits in den Achtzigern machten es sich (nicht nur) in Dortmund Initiativen zur Aufgabe, die Öffentlichkeit über Polizeiübergriffe zu informieren. Nach dem Mord an George Floyd 2020 lebte die Diskussion über Polizeigewalt auch in der breiteren Öffentlichkeit wieder auf. Einer wachsenden Zahl Menschen wurde in den letzten Jahren bewusst, dass nach Alternativen zu Kontrollen und Gewalt durch die Polizei gesucht werden muss. Einschlägige Literatur, wissenschaftliche Studien und Vorträge erweitern und vertiefen die Grundlagen für diese Diskussionen.
Neue Eindrücke und Denkanstöße wünscht
Defund the Police Dortmund
Inhaltsübersicht
- Imaginationen flächendeckender Ordentlichkeit
- Neue Wache Nord
- Polizieren und die Auswirkungen auf das Leben in der Nordstadt
- Kameras in der Nordstadt
- Taser töten
- Staatsgewalt gegenüber armen und wohnungslosen Menschen hat System und Geschichte
- Polizeinarrative und solidarische Gegenöffentlichkeit – Bericht zum aktuellen Prozess am Dortmunder Landgericht
- Erfahrungen mit der Wache Nord
- Krisendienst statt Polizeieinsatz
- Abolitionismus
- Transformative Gerechtigkeit als praktische Alternative zur Polizei
- Unsere Forderungen
- Zeitleiste
Diese Texte sind Ende 2024 in der Broschüre „Wache Nord – Abschaffen statt neubauen“ erschienen. Hier die Broschüre als PDF herunterladen.